Karsamstag

Der Karsamstag ist der Tag der Grabesruhe.

Die Glocken schweigen.

Die Orgel schweigt.

Es ist die unbegleitete Vokalmusik, die in dieser Zeit zu etwas ganz Besonderem wird.

 

Klagelieder Jeremias

Seit alters her werden am Karsamstag die Klagelieder Jeremias, die „Lamentationes“ gelesen, in denen die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 v. Chr. beklagt wird. Ein Beispiel hoher hebräischer Dichtkunst in der Bibel.

Hier ein Klangeindruck: Die Lamentationes Jeremiae des englischen Komponisten Thomas Tallis (1505-1585):

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(Gloriana Chamber Choir, Ltg.: Andrew Raiskums)

Wenn auch die Klagelieder heute in den evangelischen Kirchen nicht mehr am Karsamstag gelesen werden, so gibt es doch interessante Bezüge zur protestantischen Kirchenmusik.

Der Barockkomponist Matthias Weckmann (1619-1674), ein Schüler von Heinrich Schütz und Organist an St. Jakobi in Hamburg vertonte einen Ausschnitt der Klagelieder als ausdrucksvolles geistliches Konzert:

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Wie liegt die Stadt so wüste, die voll Volkes war! / 

Sie ist wie eine Witwe die eine Fürstin unter den Heiden / 

und eine Königin in den Ländern war, muß nun dienen.


Euch sage ich allen, die ihr vorüber gehet: / 

Schauet doch und sehet, ob irgend sei ein Schmerze wie mein Schmerze, 

der mich troffen hat. …. (Fortsetzung des Textes unter youtube: https://youtu.be/x5_7x4JeRRw)

 

Die Bombardierung Dresdens

Etwa 300 Jahre später greift der Dresdener Kreuzkantor Rudolf Mauersberger auf die Klagelieder Jeremias zurück und komponiert unter dem Eindruck der Bombardierung Dresdens die Motette „Wie liegt die Stadt so wüst“

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(Oberwalliser Vokalensemble‪, Dir. Hansruedi Kämpfen)

 

Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war. (Klgl 1,1) / Alle ihre Tore stehen öde. (Klgl 1,4 ) / Wie liegen die Steine des Heiligtums / vorn auf allen Gassen zerstreut. (Klgl 4,1 ) / Er hat ein Feuer aus der Höhe / in meine Gebeine gesandt und es lassen walten. (Klgl 1,13 )


Ist das die Stadt, von der man sagt, / sie sei die Allerschönste, der sich / das ganze Land freuet. (Klgl 2,15 )


Sie hätte nicht gedacht, / daß es ihr zuletzt so gehen würde; (Klgl 1,9 ) / sie ist ja zu greulich heruntergestoßen / und hat dazu niemand, der sie tröstet. (Klgl 1,9 )


Darum ist unser Herz betrübt / und unsere Augen sind finster geworden: (Klgl 5,17 ) / Warum willst du unser so gar vergessen / und uns lebenslang so gar verlassen! (Klgl 5,20 )


Bringe uns, Herr, wieder zu dir, / daß wir wieder heimkommen! (Klgl 5,21 ) / Erneue unsre Tage wie vor alters. (Klgl 5,21 ) / Ach Herr, siehe an mein Elend! (Klgl 1,9 )

 

Gesualdo und Bach

Ein besonders eindringlicher Auschnitt aus dem Text der Klagelieder taucht immer wieder in geistlichen Kompositionen auf:

O vos omnes qui transitis per viam, attendite, et videte si est dolor sicut dolor meus.


O ihr alle, die ihr am Weg vorbeigeht, schaut auf und seht, ob ein Schmerz wie mein Schmerz ist.  (Klagelieder 1,12)

Sehr eindrucksvoll kommt diese Klage in einer Vertonung des italienischen Komponisten Carlo Gesualdo da Venosa (1566-1613) zur Geltung. Gesualdo ist bekannt für seine gewagten harmonischen Verläufe, in denen er - völlig gegen die Kompositionsregeln seiner Zeit - fremde Tonarten ohne jeglichen Übergang kontrastierend gegenüberstellte und so ganz besondere Wirkungen entfachte.

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(Monteverdi Choir, John Eliot Gardiner)

Im Messias von G.F. Händel reflektiert der Tenorsolist den Tod Jesu mit den gleichen Worten:

Behold and see if there be any sorrow like unto His sorrow!


Schaut doch und seht, ob da irgendein Schmerz sei wie sein Schmerz.

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G.F.Händel: Behold an see (Rufus Müller, Tenor / Tafelmusik Orchestra, Toronto)

Auch J.S. Bach scheint der Text inspiriert zu haben, wie seine Kantate „Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei“ BWV 46 zeigt. Es ist eine ganz besondere Stimmung, die Bach hier erzeugt: Zwei miteinander verwobene Blockflötenstimmen bilden einen milden, meditativen Hintergrund, vor dem sich die ausdrucksvollen, fast quälenden Klagelinien des Chors umeinander ranken.

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(Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Ltg.: John Eliot Gardiner)

Später verwendet Bach diese Komposition noch einmal im „Qui tollis“ seiner h-moll-Messe und schafft - über den ähnlichen  „Affekt“ (die Gemütsbewegung) der Musik - eine Verbindung zum Karfreitagsgeschehen:

Qui tollis peccata mundi, miserere nobis.


Der du die Sünde der Welt trägst, erbarme dich unser

Die Musik erklingt hier eine Terz tiefer als in der Kantate, die Blockflöten werden durch Traversflöten ersetzt und treten erst später dazu. So entsteht eine noch düsterere, fast mystische Stimmung:

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(Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Ltg.: John Eliot Gardiner)

Traugott Mayr